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Identitätsprüfungsangst im Notariat?

Interview mit Profiler, Superrecognizer und Dokumentenexperte Peter Hessel

Peter Hessel ist Erster Polizeihauptkommissar a.D. und blickt auf viele Jahrzehnte Erfahrung in der Überprüfung von Identitäten zurück.
Seine Expertise gibt Hessel heute als Trainer weiter und schult unter anderem auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Notariat. Im Interview berichtet er von den besonderen Anforderungen der Identitätsprüfung im Notariatsalltag, warum man auch vor unbekannten Dokumenten keine Angst haben muss und wie man sich im Verdachtsfall korrekt verhält.

Herr Hessel, was unterscheidet denn die Identitätsprüfung im Notariat von der Prüfung, die Sie aus der polizeilichen Ermittlung kennen?

P. Hessel: Es gibt große Überschneidungen. In beiden Fällen muss sichergestellt werden, dass die Person, die vor Ihnen steht, und die Person auf dem Ausweisdokument identisch sind. Und dass das Dokument, mit welchem Ihr Mandant oder Ihre Mandantin sich ausweist, echt ist. Es geht ja in beiden Fällen darum, Delikte zu verhindern. In der polizeilichen Ermittlung spielen natürlich oft andere gesetzliche Rahmenbedingungen eine Rolle. Aber auch Notare sind an die GwG-konforme Identitätsprüfung gebunden, handeln also ebenfalls auf einer gesetzlichen Grund-lage. Deshalb ist es für das zuständige Personal enorm wichtig, sich vom Thema Dokumentenprüfung nicht einschüchtern zu lassen. Training und Übung sind das A und O, damit man Sicherheit gewinnt und Täter entlarvt. Darüber hinaus spielt die Prävention bei der Ausweiskontrolle eine wichtige Rolle. Zeigen Sie gegenüber dem Kunden, dass Sie eine Kontrolle des vorgelegten Ausweises durchführen. Das schreckt den Täter unter Umständen schon im Vorfeld ab.

Was sind denn die wichtigsten Punkte, auf die Sie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Notariat bei Ihren Seminaren hinweisen?

P. Hessel: Zunächst einmal schauen wir uns im Seminar den Aufbau von Dokumenten an und ich erkläre, was Sicherheitsmerkmale sind und wie man diese überprüft. Das ist schon die halbe Miete. Denn wenn ich weiß, welche drei, vier schnellen Checks ich ganz einfach machen kann, führt das schon zu mehr Selbstsicherheit im Auftreten. Und dieses wiederum führt bei einem Täter zu Verunsicherung. Diese Checks dürfen nur wenig Zeit in Anspruch nehmen und müssen sich in den Arbeitsprozess integrieren lassen.

Gefälschte_rumänische_ID_Card
Auffälligkeiten schnell identifizieren: Hier stimmen die Angaben in der oberen "visuellen Zone" (VIZ) nicht mit den Angaben in der unteren "maschinenlesbaren Zone" (MLZ) überein.

Haben Sie für diese Sicherheitsmerkmale ein Beispiel?

P. Hessel: Nehmen Sie die MLZ, die sog. maschinenlesbare Zone. Die Organisation ICAO (Internationale Zivile Luftfahrtbehörde) hat für Reisepässe und ID-Cards Standards definiert, die in allen Dokumenten gleich sind. Für Reisepässe zwei Zeilen im unteren Bereich und für Personalausweise drei Zeilen auf der Rückseite unten. Dadurch sind diese Zonen maschinenlesbar. So ist zum Beispiel die Schriftart immer gleich. Deshalb reicht es, sich einzuprägen, dass die Ziffern für 3 und 4 in diesem Zeichensatz ein bestimmtes Aussehen haben müssen. Die Drei hat oben einen geraden Strich, keinen Bogen. Die Vier ist offen, nicht geschlossen. Das Dokument, das Sie prüfen, hat in der MLZ eine Drei mit zwei Bögen? Prüfung beendet. Das Dokument ist gefälscht. Sie sehen in der MLZ Sonderzeichen, wie ß oder ein Ä oder Ü? Dokument gefälscht. Es gibt keine Sonderzeichen in der MLZ.

MLZ_Fälschung_und_Original

Die Schriftart in der so genannten "maschinenlesbaren Zone" (MLZ) ist standardisiert. Abweichungen entlarven Fälschungen.

Es gibt eine Vielzahl von Dokumententypen. Lassen die sich alle nach Ihrer Checkliste prüfen?

P. Hessel: Nein, aber fast alle. Der erste Schritt ist die Aneignung von Basiswissen und eine vernünftige Checkliste. Was prüfe ich der Reihe nach? Der zweite Schritt ist die regelmäßige Auffrischung. Die BaFin schreibt zum Beispiel für Unternehmen, die Videoidentifizierung einsetzen, vor, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschult sein müssen und die Schulung einmal jährlich aufgefrischt werden muss. Diese Vorgabe wäre für alle sinnvoll, die Identitäten prüfen müssen. Nehmen Sie das Beispiel Aufenthaltstitel. Davon gibt es allein in Deutschland viele. Mit deren Prüfung sind Sie auch im Notariat betraut. Viele interpretieren das Dokument als Passersatz. Das ist falsch. Wenn Sie einen Aufenthaltstitel zur Identitätsprüfung vorgelegt bekommen, müssen Sie sich auch den Pass und eventuell ein Zusatzblatt vorlegen lassen. Für dieses Wissen braucht es Training und Informationen über das Zuwanderungsrecht. Auch um immer auf dem neuesten Stand zu sein, weil sich Dokumente auch verändern.

Empfehlen Sie, im Notariat zusätzlich technische Hilfsmittel für die Identitätsprüfung einzusetzen?

P. Hessel: Zunächst einmal empfehle ich, jede Form von Prüfung sichtbar durchzuführen. Wer gelernt hat, wie man zwei, drei Sicherheitsmerkmale prüft, soll das Dokument ganz offensichtlich in Gegenwart der Mandantin oder des Mandanten anschauen, kippen und fühlen. Zeigen Sie Ihrem Gegeüber, dass in Ihrem Notariat gründlich geprüft wird! Wer es sich leisten kann, investiert zusätzlich in ein wenig Equipment: Mit einer einfachen UV-Lampe werden zusätzliche Sicherheitsmerkmale sichtbar. Die Anwendung ist leicht erklärt. Und perfekt ist natürlich ein Scanner, der nicht nur das Dokument prüft, sondern die Daten gleich in Ihre Notariatssoftware übernimmt. Da gibt es sehr gute Lösungen am Markt. Auch hier plädiere ich dafür, das Gerät nicht im Hinterzimmer irgendwo aufzustellen. Das gehört vorne in den Empfangsbereich. Beim Erstkontakt kann die Mandantin oder der Mandant das Dokument sogar selbst auflegen. Hierzu berate ich gern. Je offensichtlicher Sie demonstrieren, dass Sie das Thema Identitätsprüfung beherrschen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie Täterin oder Täter abschrecken.

Und wenn nun doch eine Auffälligkeit auftritt? Wie sollen sich Mitarbeiterinnen undMitarbeiter dann verhalten?

P. Hessel: Die wichtigste Arbeit beginnt vor dem Ereignisfall, weil sich jedes Notariat mit einem ganz klaren Verhaltensprotokoll auf diesen Fall vorbereiten sollte. Erstens: Im Verdachtsfall immer Vorgesetzte hinzuziehen, zum Beispiel Notar oder Notarin direkt verständigen, nie alleine handeln. Die Notarin oder der Notar als Träger des öffentlichen Amtes kann dann die Verständigung der Polizei erwägen. Zweitens: Zeit gewinnen. Überlegen Sie im Vorfeld, zum Beispiel durch ein Kennwort, wie Sie Ihren Kolleginnen und Kollegen vermitteln, dass ein Verdachtsfall vorliegt und Maßnahmen zu ergreifen sind. Angenommen, Sie haben ein Dokument gescannt und die Software zeigt Ihnen am Bildschirm Auffälligkeiten. Dann könnten Sie zum Beispiel erklären, dass der Scanner schon wieder diesen technischen Fehler hat und fragen, ob im anderen Büro mal nachgesehen werden könne, ob es ein Netzwerk-Problem gibt. Hier liegt natürlich der Vorteil eines Scanners auf der Hand: Sie haben dann einen Scan des zweifelhaften Dokuments und einen Report, den Sie an die Polizei übergeben können. Sie können auch technische Probleme vorgeben und die Mandantin oder den Mandanten bitten, in einer halben Stunde noch einmal zu kommen. Bis dahin haben Sie Zeit, um die Behörden zu verständigen. Mir ist abschließend wirklich wichtig zu sagen, dass die Notariate eine große Verantwortung tragen. Die Identitätsprüfung gehört zu den gesetzlich normierten, geldwäscherechtlichen Sorgfaltspflichten. Deshalb sollte Ihr Team bestmöglich auf diese Aufgabe vorbereitet sein. Eine Schulung und der Einsatz von technischen Hilfsmitteln sind aus meiner Sicht die einfachste Lösung, um kriminellen Handlungen entgegenzuwirken.

Vielen Dank, Herr Hessel, für das Interview!

Zur Person

Porträtbild von Peter Hessel

Peter Hessel war Erster Polizeihauptkommissar und Diplom-Verwaltungswirt bei der Hessischen Polizei mit Dienstort beim Polizeipräsidium Frankfurt a. M. Er ist ausgebildeter und zertifizierter Dokumentenberater und -prü fer und war lange Zeit Leiter der Urkundenprüfstelle des Polizeipräsidiums Frankfurt a. M. Als Leiter der Zentralen Ermittlungen in der Direktion Sonderdienste machten die Urkundenfälschung und das Aufenthaltsrecht sein Spezialgebiet aus. Er war mitverantwortlich für die Konzeption der Hessischen Polizei zur Bekämpfung der Urkundenkriminalität. In den vergangenen Jahrzehnten hat Hessel kontinuierlich in Unternehmen und Behörden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem notwendigen Wissen rund um die Prüfung von Ausweisdokumenten vertraut gemacht. Seit seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst ist Hessel als Ausbilder und Trainer für die DAS – Document Authentication Services GmbH – tätig, zu der ein eigenes College und ein CheckCenter für die Prüfung von Dokumenten gehören. Hessel bietet am DAS-College eLearning-Kurse, Basis- und Fortgeschrittenen-Seminare fu¨r die Urkunden- und Identitätsprüfung an.